Eine Frage der Qualität
Was ist ein hochwertiges Kompensationszertifikat? Auf diese Frage gibt es keine einfache Antwort. Denn für die “Qualität” von Zertifikaten spielen viele Faktoren eine Rolle. Welche Aspekte wichtig sind, hängt auch von den Prioritäten derjenigen ab, die Zertifikate kaufen. Manche Käuferinnen und Käufer legen zum Beispiel viel Wert darauf, dass Klimaschutzprojekte einen hohen sozialen Nutzen haben, anderen geht es ausschließlich um die Klimawirkung.
Kriterien für Kompensationszertifikate
Das Öko-Institut hat in Zusammenarbeit mit zwei Nichtregierungsorganisationen – dem Worldwide Wildlife Fund (WWF) und dem Environmental Defense Fund (EDF) – Kriterien dafür entwickelt, was ein hochwertiges Kompensationszertifikat ausmacht. Danach sind für die Qualität von Zertifikaten aus Klimaschutzprojekten vor allem folgende Aspekte wichtig:
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Zusätzlichkeit: Hierunter wird verstanden, dass das Projekt erst durch die Erlöse aus den Kompensationszertifikaten ermöglicht und nicht ohnehin umgesetzt wird. Denn wenn ein Projekt ohnehin umgesetzt wird, führt es zu keinem zusätzlichen Klimaschutz und kann daher auch keine Emissionen ausgleichen. Ob ein Projekt wirklich zusätzlich ist, ist nicht immer einfach zu prüfen. Entscheidend ist, ob das Projekt bereits ohne Zertifikate wirtschaftlich ist und deswegen auch ohne weiteren finanziellen Anreiz durch die Kompensationszertifikate durchgeführt würde, oder ob es bereits aufgrund von bestehenden politischen Instrumenten wie Förderprogrammen umgesetzt wird. Verschiedene Studien kommen zu dem Schluss, dass die Zusätzlichkeit vieler Klimaschutzprojekte fraglich ist. Es gibt aber auch Projekte, für die eine Zusätzlichkeit sehr wahrscheinlich ist.
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Altprojekte: Unter dem größten Kompensationsprogramm – dem Clean Development Mechanism (CDM) des Kyoto-Protokolls – gibt es einen sehr großen Überhang an Zertifikaten aus Altprojekten, dem nur eine vergleichsweise geringe Nachfrage gegenübersteht. Der Überhang ist so groß, dass die Zertifikate zu sehr niedrigen Preisen verkauft werden. In den meisten Fällen laufen die Klimaschutzprojekte aber weiter, ganz gleich ob sie ihre Zertifikate noch verkaufen können. Dies liegt daran, dass die Projekte oft andere Einnahmen verzeichnen – so zum Beispiel aus der Einspeisung von Strom aus Windkraftanlagen – und ein weiterer Betrieb dadurch wirtschaftlicher ist als ihre Stilllegung. Der Kauf von Zertifikaten aus solchen CDM-Projekten führt deshalb nicht zu mehr Klimaschutz und wird daher nicht empfohlen. Einige CDM-Projekte sind jedoch auf laufende Erlöse aus Zertifikaten angewiesen. Das betrifft zum Beispiel die Vermeidung von Lachgas aus der Salpetersäureproduktion oder der Einsatz von effizienteren Herden zum Kochen mit Holz. Diese Projekte sind unterstützenswert.
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Quantifizierung der Emissionsminderungen: Damit hinter jedem Kompensationszertifikat auch eine vermiedene Tonne CO₂ steckt, ist es wichtig, dass die Emissionsminderungen nicht überschätzt werden. Diese müssen vorsichtig abgeschätzt werden, denn bei der Quantifizierung gibt es erhebliche Unsicherheiten. Eine besondere Herausforderung ist die Abschätzung des Referenzszenarios, wie viele Emissionen ohne das Projekt entstanden wären. Bei Projekten zum Schutz von Wäldern ist es zum Beispiel sehr unsicher, wie sich der Wald ohne das Projekt entwickelt hätte.
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Vermeidung von Doppelzählung: Doppelzählung bedeutet, dass die gleiche Emissionsminderung zwei Mal zur Erreichung von Klimazielen oder zur Kompensation angerechnet wird. Doppelzählung ist vor allem ab 2021 ein erhebliches Risiko für die freiwillige Kompensation. Denn dann greift das Pariser Übereinkommen, unter dem fast alle Länder Klimaziele haben. Wenn in einem Land Emissionsminderungen aus Klimaschutzprojekten verkauft werden, birgt das die Gefahr, dass sich nicht nur der- oder diejenige die Minderungen anrechnet, der oder die das Kompensationszertifikat kauft, sondern auch das Land, in dem das Klimaschutzprojekt umgesetzt wird. Denn das Land kann so bei der Berichterstattung über die Erreichung seines Klimaziels niedrigere Emissionen nachweisen. Das könnte dazu führen, dass das Land dann weniger Klimaschutzanstrengungen ergreifen muss, um seine Ziele zu erreichen.
Solch eine Doppelzählung kann vermieden werden, indem Länder die Minderungen aus Klimaschutzprojekten bei der Berichterstattung über die Erreichung ihrer Klimaziele unter dem Pariser Übereinkommen abziehen. Hierfür muss die Regierung des betreffenden Landes das Klimaschutzprojekt für den internationalen Emissionshandel unter Artikel 6 des Pariser Übereinkommens autorisieren und sich verpflichten, in der Berichterstattung über die Erreichung seines Klimaziels die Minderungen durch sogenannte “corresponding adjustments”, also eine entsprechende Anpassung bei der Klimabilanz, herauszurechnen. Sollen die Zertifikate der Kompensation dienen und Doppelzählungen vermieden werden, müssen Zertifikate in Zukunft daher mit solchen “corresponding adjustments” hinterlegt sein.
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Dauerhaftigkeit der Emissionsminderungen: Wald- und Moorprojekte bergen das Risiko, dass der eingespeicherte Kohlenstoff zu einem späteren Zeitpunkt wieder freigesetzt wird. Wird zum Beispiel ein Wald gepflanzt und ein Feuer zerstört diesen später, wird das aus der Atmosphäre aufgenommene CO₂ wieder freigesetzt. Die meisten Kompensationsprogramme adressieren dieses Risiko durch eine Art Versicherung: Alle Projekte müssen einen Teil ihrer Zertifikate in einen Fonds einzahlen. Wenn in einem Projekt der eingespeicherte Kohlenstoff wieder freigesetzt wird, wird der Schaden für das Klima durch die Löschung von Zertifikaten aus dem Fonds ausgeglichen. Wie gut dieser Ansatz funktioniert, hängt vor allem davon ab, wie gut der Fonds ausgestattet ist, wie breit die Risiken gestreut sind und für welchen Zeitraum überprüft wird, ob CO₂ wieder freigesetzt wurde. Manche Kompensationsprogramme nutzen auch temporäre Zertifikate oder berechnen einen pauschalen Abschlag bei der Quantifizierung der Emissionsminderungen. Einige wenige Kompensationsprogramme ergreifen gar keine Maßnahmen, um die Dauerhaftigkeit der Emissionsminderungen zu gewährleisten. Es sollten ausschließlich Kompensationsprogramme genutzt werden, die einen Fonds zum Ausgleich von Schäden haben und gewährleisten, dass die Einspeicherung von CO₂ über mindestens 100 Jahre überprüft wird.
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Förderung einer Transformation zu einer Nullemissionsgesellschaft: Das Pariser Übereinkommen hat zum Ziel, dass die Menschheit in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts keine Treibhausgase mehr verursacht. Die Transformation zu einer Nullemissionsgesellschaft erfordert einen tiefgreifenden Wandel unseres Wirtschaftens und massive Investitionen in Zukunftstechnologien. Dafür müssen auch Investitionen in langlebige Technologien, die weiter Treibhausgase verursachen, vermieden werden. Wichtig ist es daher, keine Projekte zu fördern, die weiterhin fossile Brennstoffe nutzen – so zum Beispiel effiziente Kohlekraftwerke oder neue Gaskraftwerke –, sondern Klimaschutzprojekte auszuwählen, die solche Zukunftstechnologien fördern, die Treibhausgasemissionen möglichst vollständig vermeiden, so etwa innovative Technologien für erneuerbare Energien.
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Gute institutionelle Strukturen und Prozesse: Kompensationsprogramme unterscheiden sich erheblich in Hinblick auf ihre Strukturen und Prozesse – etwa in Hinsicht auf die Frage, wie die Öffentlichkeit bei der Entwicklung von Regeln und der Genehmigung von Projekten beteiligt wird oder wie Zertifizierungsunternehmen akkreditiert und überprüft werden. Programme mit transparenten und partizipativen Strukturen und Prozessen können besser gewährleisten, dass die Regeln robust sind und eingehalten werden.
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Andere Umweltwirkungen und soziale Aspekte: Neben der Klimaschutzwirkung ist es wichtig, dass Klimaschutzprojekte keine negativen sozialen Folgen oder Umweltwirkungen haben, sondern möglichst sogar positive Wirkungen über den Klimaschutz hinaus. Hier kommt es vor allem auf die Art des Projektes an und wie die Kompensationsprogramme mögliche negative Folgen prüfen. So haben Projekte wie effiziente Herde zum Kochen mit Holz, die die Lebensbedingungen von ländlichen Haushalten in Entwicklungsländern verbessern, häufig einen vergleichsweise hohen sozialen Nutzen. Manche Programme wie der Gold Standard oder die Climate, Community & Biodiversity Standards von Verra etablieren spezielle Anforderungen in Hinblick auf andere Umweltwirkungen und soziale Aspekte.
Links zu weiterführenden Informationen
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Barata, P. M. (2016): Carbon Credits and Additionality: Past, Present and Future. Washington D.C.: Partnership for Market Readiness, World Bank.
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Wuppertal Institut (2018): Additionality après Paris. Stronghold for Environmental Integrity?
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Wuppertal Institut (2020): Kreibich, N.; Hermwille, L.: Caught in between Credibility and Feasibility of the Voluntary Carbon Market post-2020.