Menschen und Geschichten

Wir haben uns umgehört und in unserem Umfeld einige Menschen gefunden, die sich dazu entschlossen haben, weniger zu fliegen. Die Alternativen, die sie gefunden haben, sind für sie kein Verzicht, sondern ein Gewinn. Und sie zeigen uns, wie wir unsere Perspektive aufs Fliegen ändern können.

Niko Paech
Foto: Michael Messal
Niko Paech, Professor, Wachstumskritiker
Ich käme nicht auf die Idee, in den Urlaub zu fliegen – woher nähme ich das Recht dazu? Bahn, Bus, Fahrrad, Wanderschuhe und ganz selten eine Fähre reichen aus.
Interview Öko-Institut mit Niko Paech, April 2020

Wann haben Sie zuletzt ein Flugzeug betreten?

1993 fand meine einzige Flugreise statt.

Warum fliegen Sie nicht mehr?

Weil es sich dabei erstens um den maximalen ökologischen Schaden handelt, der legal von einer Person mit einer bestimmten Geldmenge verursacht werden kann. Und weil damit zweitens keine basalen Grundbedürfnisse, sondern der Anspruch auf dekadenten Luxus befriedigt wird.

Wie sind Sie zu dieser Entscheidung gelangt?

Weil ich schon früh das Zitat von Kant verinnerlichte, “Habe den Mut, Dich Deines eigenen Verstandes zu bedienen.”, kam es nie dazu, mit dem Fliegen überhaupt zu beginnen.

Was sind für Sie Alternativen zu dienstlichen Flugreisen?

Ich stelle in Abrede, dass die Unterlassung ruinöser Handlungen unter den Vorbehalt gestellt werden kann, erst adäquate Alternativen dafür parat zu haben. Weltreisen sind alternativlos zu reduzieren oder zu vermeiden. Und innerhalb Europas leistet die Eisenbahn befriedigende Dienste.

Wie wirkt sich Ihre Entscheidung privat auf den Urlaub, den Sie machen aus?

Ich käme nicht auf die Idee, in den Urlaub zu fliegen – woher nähme ich das Recht dazu? Bahn, Bus, Fahrrad, Wanderschuhe und ganz selten eine Fähre reichen aus.

Wie erreichen Sie jetzt weit entfernte Orte?

Ich passe meinen Aktionsradius dem an, was ökologisch verantwortbar erreicht werden kann.

Was ist das Schwierigste für Sie daran, nicht zu fliegen?

Nichts ist weniger schwierig, als sein Leben von einer bestimmten Option komplett zu befreien.

Machen Sie manchmal Ausnahmen bzw. auf welchen Flug würden sie nicht verzichten?

Nein. Auch bei der Einhaltung von Menschenrechten mache ich keine Ausnahmen.

Wie reagiert ihr Umfeld darauf, dass Sie nicht mehr fliegen möchten?

Manche der ökologischen Vandalen räumen ein, dass sie sich unwohl fühlen und denken sich Ausreden oder Sachzwänge aus. Manche stellen sich dumm. Andere behaupten, meinem Beispiel folgen zu wollen. Wiederum andere bestärken mich, weil sie genauso leben.

Wie reagieren Sie darauf, wenn Freund*innen von ihren Fern-/Flugreisen erzählen?

Ich nehme es gelassen zur Kenntnis.

Welche Tipps haben Sie für andere Menschen, die ebenfalls weniger fliegen möchten?

Sie sollten sich über ihre individuelle CO₂-Bilanz informieren.

Ist es eine Alternative für Sie, zu Fliegen und den Flug zu kompensieren?

Nein, ich bin zwar Katholik, aber froh, dass Ablasshandel längst überwunden wurde. Schade, dass die akademisierte Mittelschicht noch nicht so weit ist.

Was ist die schönste Erfahrung, die Sie ohne Flugverzicht nicht erlebt hätten?

Die Frage ist komplett verquer. Verzicht? Wie kann jemand auf etwas verzichten, was ihm/ihr nie zustehen konnte?

Was kann jede*r Einzelne noch tun, um die klimaschädlichen Auswirkungen des Flugverkehrs zu reduzieren und wo muss nach Ihrer Meinung nach der Staat eingreifen?

Benötigt wird eine Bewegung der Nichtflieger/innen, die in den Medien und in der Öffentlichkeit in Erscheinung treten, um die Gesellschaft zu konfrontieren. Die Politik hängt das Fähnlein in den Wind, jedenfalls solange demokratische Regeln gelten, und wird erst reagieren, wenn die Nachfrage nach Flugreisen in der Zivilgesellschaft sinkt. Dann könnte sie Flughäfen schließen und Flugreisen nur im Rahmen eines individuellen CO₂-Kontos zulassen.


Britta Steffen, Schwimmerin, Unternehmerin
[Schön ist,] dass ich, wenn ich höre, ich müsste für etwas irgendwo hinfliegen, gar nicht darüber nachdenken muss, ob ich das mache und wie ich das mit einem kleinen Kind organisiere, also bin ich diesbezüglich weniger im Stress und mehr bei meiner Familie.
Interview Öko-Institut mit Britta Steffen, Februar 2020
Britta Steffen
Foto: Liesa Fuchs

Warum fliegen Sie nicht mehr?

Das hat sozio-ökonomische Gründe.

Wie sind Sie zu dieser Entscheidung gelangt?

Mein eigener Lebensstil hat mich dazu geführt, diese Entscheidung zu treffen. Anfang 2019 wollte ich für Projekte, Charity-Aufgaben, Ehrungen und beruflich nicht mehr unnötig fliegen, es hat sich einfach nicht mehr gut angefühlt unterwegs zu sein und das einjährige Kind Zuhause zu lassen. Zudem hat mich Greta inspiriert und als ich begann mich in die Materie “Klimawandel etc.” nach meinem Babyjahr, in dem ich sehr für mich allein in einer Art Blase lebte, einzulesen, da war klar, dass für meinen Sohn auf lange Sicht keine intakte Welt hinterbleibt, wenn ich/wir nicht anfange/n das Verhalten zu ändern, also tat ich es.

Wie wirkt sich Ihre Entscheidung auf Ihre Arbeit und ggf. notwendige Dienstreisen aus?

Ich kann aufgrund dieser Entscheidung nicht alle Anfragen/Projekte annehmen, die an mich herangetragen werden. Für mich trennt sich so das Eine, was ich machen kann, vom Anderen, das ich aus meiner persönlichen Haltung heraus nicht mehr vertreten kann.

Was sind für Sie Alternativen zu dienstlichen Flugreisen?

Alternativen gibt es wenige - jedoch Skype und/oder Telefonkonferenzen mit Kunden/ Partnern/ Kollegen vor Ort zum Projekt, sodass ein Einzelner nicht permanent pendeln muss.

Wie wirkt sich Ihre Entscheidung privat auf den Urlaub, den Sie machen, aus?

Meine Familie war erst überrascht, aber gleichzeitig finden sie es richtig und konsequent. Urlaub geht auch ohne zu fliegen.

Wie erreichen Sie jetzt weit entfernte Orte?

Gar nicht oder mit dem Zug. Australien, Neuseeland oder Amerika werde ich also erst einmal nicht wiedersehen.

Machen Sie manchmal Ausnahmen, bzw. auf welchen Flug würden sie nicht verzichten?

Ausnahmen habe ich nicht vorgesehen.

Wie reagiert ihr Umfeld darauf, dass Sie nicht mehr fliegen möchten?

Ich glaube, dass einige Personen diese Entscheidung überzogen finden, aber nachdenklich stimmt es vielleicht doch den einen oder anderen - mehr erwarte ich mir nicht.

Wie reagieren Sie darauf, wenn Freund*innen von ihren Fern-/Flugreisen erzählen?

Wie gesagt: Alle sind erwachsen. Ich sag gern meine Meinung, aber jeder hat selbst einen Kopf, um nachzudenken. Andere zu belehren, geht meiner Meinung nicht gut.

Welche Tipps haben Sie für andere Menschen, die ebenfalls weniger fliegen möchten?

Ich gebe keine Tipps. Ich glaube, dass jeder selbst entscheiden muss, ob er etwas in seinem Leben ändert oder nicht. Ich hoffe einfach, dass so eine Entscheidung anregt, sich mit dem eigenen CO₂-Fussabdruck auseinanderzusetzen.

Ist es eine Alternative für Sie, zu Fliegen und den Flug zu kompensieren?

Nein, denn den Schaden hinterlasse ich ja trotzdem und wir haben nur einen Planeten und den interessiert unser Geld nicht – im Gegenteil: vielfach zerstören die monetären Interessen ihn.

Was ist die schönste Erfahrung, die Sie ohne Flugverzicht nicht erlebt hätten?

Schwierige Frage. Wahrscheinlich, dass ich, wenn ich höre, ich müsste für etwas irgendwo hinfliegen, gar nicht darüber nachdenken muss, ob ich das mache und wie ich das mit einem kleinen Kind organisiere, also bin ich diesbezüglich weniger im Stress und mehr bei meiner Familie.

Was kann jede*r Einzelne noch tun, um die klimaschädlichen Auswirkungen des Flugverkehrs zu reduzieren und wo muss nach Ihrer Meinung nach der Staat eingreifen?

Selbst zu schauen, ob man sinnvoll heizt, tatsächlich das Auto benötigt, obwohl der öffentliche Nahverkehr gut ausgebaut ist, ob man wirklich mehrmals im Jahr mit dem Flugzeug verreisen muss, ob tierische Produkte reduziert werden können und vieles mehr - das kann man sich schon fragen. Ansonsten ist man als in Deutschland lebender Mensch schon bei mind. 5 Tonnen CO₂ (habe ich gelesen), weil wir Straßenlaternen “mitnutzen”, Ampeln, öffentliche Gebäude etc. - da kann nur der Staat etwas verändern.


Veit Bürger
Foto: Öko-Institut e.V.
Veit Bürger, Wissenschaftler, Energieexperte
Eine Ausnahme würde ich dann machen, wenn ich infolge des Fluges, zum Beispiel durch Teilnahme an einem konkreten Projekt, einen größeren Klimaschutzbeitrag leisten kann als ich durch den Flug Schaden anrichte.
Interview Öko-Institut mit Veit Bürger, April 2020

Wann haben Sie zuletzt ein Flugzeug betreten? Warum fliegen Sie nicht mehr?

Für private Zwecke fliegen meine Familie und ich seit mehr als zehn Jahren nicht mehr. Meine Frau hatte damals vorgeschlagen, aus Klimaschutzgründen nicht mehr zu fliegen. Die Gründe liegen ja auf der Hand: Fliegen ist mit großem Abstand die klimaschädlichste Weise an den Urlaubsort zu kommen. Viele Menschen verhageln sich ihre persönliche Klimabilanz durch ihre Fliegerei. Die CO₂-Einsparungen durch Ökostrombezug, regionale Lebensmittel oder die eigene PV-Anlage auf dem Dach stehen in keinem Verhältnis zu den Emissionen, die zum Beispiel eine Flugreise nach Südostasien verursacht.

Beruflich bin ich in den letzten zehn Jahren zweimal geflogen. Das letzte Mal vor etwa zwei Jahren. Da war ich für eine Woche in China, um dort an einer Konferenz und weiteren Veranstaltungen der GIZ zum Thema “Erneuerbare Wärme” teilzunehmen. Ich habe lange hin und herüberlegt, ob ich die Einladung überhaupt annehmen soll. Auf den Meetings waren prominente Vertreter aus verschiedenen chinesischen Ministerien vertrete, so dass ich hoffe, durch meine Teilnahme und dem damit verbundenen Wissensaustausch auch einen positiven Klimabeitrag geleistet zu haben.

Wie wirkt sich Ihre Entscheidung auf Ihre Arbeit und ggf. notwendige Dienstreisen aus?

Dienstreisen innerhalb Europas mache ich mit der Bahn. Dabei nehme ich oft auch den Nachtzug. Manchmal auch die Fähre. Reisen nach Athen, Vilnius, Warschau oder Edinburgh werden dadurch zu spannenden Erlebnissen. Da ich im Zug problemlos meine Arbeiten erledigen kann, verliere ich infolge der teilweise wesentlich längeren An- und Abreise auch keine Arbeitszeit. Werde ich zu Konferenzen außerhalb Europas eingeladen, sage ich das in der Regel ab.

Wie wirkt sich Ihre Entscheidung privat auf den Urlaub, den Sie machen aus?

Wir verbringen unsere Sommerferien jedes Jahr auf einer kleinen griechischen Insel. Hin- und Rückreise dauern jeweils drei Tage. Die Hinreise läuft über Zug – Nachtzug – Zug – Fähre – Taxi – Bus – Taxi – Fähre. Als unsere Kinder noch kleiner waren, war das natürlich etwas anstrengend. Inzwischen genießen wir alle die lange Reise. Der erste Cappuccino auf dem Bahnhofsvorplatz von Venedig mit Blick auf die Kanäle. Eine Nacht am Fuße der Akropolis in Athen. Und viele Bücher. Das Schöne daran: Der Urlaub beginnt mit der Abfahrt des ICE in Freiburg an Bahnsteig 1.

Wie erreichen Sie jetzt weit entfernte Orte?

Mit allem, was am Boden bleibt. Aber man muss sich natürlich bewusst sein: Je weiter und exotischer das Ziel, desto anspruchsvoller ist die Reiseplanung. Zum Glück haben wir in Freiburg ein auf Bahnreisen spezialisiertes Reisebüro. Und meine Frau ist inzwischen eine wahre Expertin, was komplexe An- und Abreisen angeht.

Was ist das Schwierigste für Sie daran, nicht zu fliegen?

Dass es damit Länder, Landschaften und Kulturen gibt, die für uns nicht mehr erreichbar und erlebbar sind.

Machen Sie manchmal Ausnahmen bzw. auf welchen Flug würden sie nicht verzichten?

Eine Ausnahme würde ich dann machen, wenn ich infolge des Fluges, z.B. durch Teilnahme an einem konkreten Projekt, einen größeren Klimaschutzbeitrag leisten kann als ich durch den Flug Schaden anrichte.

Wie reagieren Sie darauf, wenn Freund*innen von ihren Fern-/Flugreisen erzählen?

Das ist ein schwieriger Punkt. Schön ist es, wenn ich merke, dass auch KollegInnen, FreundInnen und Bekannte beginnen, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen und ihr Reiseverhalten umstellen. Schwierig wird es immer dann, wenn FreundInnen und KollegInnen mit Begeisterung von ihren Fernreisen erzählen. Und das, obwohl sehr viele von ihnen die Klimabilanz des Flugzeugs sehr wohl kennen. Oder wenn Aussagen kommen wie “Wir haben so ein anstrengendes Leben, das ist Bahnfahren nichts für uns”.

Welche Tipps haben Sie für andere Menschen, die ebenfalls weniger fliegen möchten?

Einfach mal die Alternativen ausprobieren. Für viele Menschen in Deutschland fühlt es sich zum Beispiel an, als wäre London sehr weit entfernt von ihrem Heimatort. Dazwischen liegt sogar ein Meer. Ergo müsse man Fliegen, um nach London zu kommen. Von uns in Freiburg aus kommt man mit dem Zug inzwischen in sieben Stunden nach London. Und kommt dabei Mitten in der Stadt an, nicht auf irgendeinem Flughafen am Rande der Stadt. Ist man einmal mit dem Zug nach London gereist, fragt man sich, wieso man dafür eigentlich in ein Flugzeug steigen muss.

Ist es eine Alternative für Sie, zu Fliegen und den Flug zu kompensieren?

Nein. Vermeiden steht an oberster Stelle. Kompensieren sollte man nur dann, wenn ein Flug wirklich unvermeidbar ist.

Was kann jede*r Einzelne noch tun, um die klimaschädlichen Auswirkungen des Flugverkehrs zu reduzieren und wo muss nach Ihrer Meinung nach der Staat eingreifen?

Eigentlich sollte jeder ein Gefühl dafür haben, wie sich die individuelle Klimabilanz zusammensetzt und welchen Einfluss insbesondere Fernflüge auf diese haben. Ein Beispiel: Jeder Deutsche verursacht pro Jahr rund 10 Tonnen CO₂. Kommt ein Flug nach Bangkok dazu, verschlechtert sich die Bilanz um mehr als 6 Tonnen. Das sind nun mal die Relationen. Leider ist aber Fliegen in vielen Fällen die günstigste Reisevariante. Was aber auch nicht verwundert, fliegt man doch zwischen oftmals öffentlich subventionierten Flughäfen mit Flugbenzin, das nicht mit Steuern belegt ist. Die Politik muss also in erster Linie dafür sorgen, dass wir mehr Preisgerechtigkeit zwischen den verschiedenen Verkehrsmitteln bekommen.


Josephine Löwenstein, Umweltpädagogin (im FÖJ), Yogalehrerin
Ich will nicht mehr als nötig für schädlichen CO₂-Ausstoß verantwortlich sein und auch gegenüber anderen in meinem Umweltengagement konsistent sein.
Interview Öko-Institut mit Josephine Löwenstein, März 2020
Josephine Löwenstein
Foto: privat

Wann haben Sie zuletzt ein Flugzeug betreten?

Ca. 2013, davor ca. 2000.

Warum fliegen Sie nicht mehr?

Ich will nicht mehr als nötig für schädlichen CO₂-Ausstoß verantwortlich sein und auch gegenüber anderen in meinem Umweltengagement konsistent sein.

Wie sind Sie zu dieser Entscheidung gelangt?

Ich beschäftige mich seit den 1980er Jahren mit Umwelt- und Klimaschutz; habe seitdem immer nur sehr in Ausnahmen eine Flugreise gemacht.

Wie wirkt sich Ihre Entscheidung auf Ihre Arbeit und ggf. notwendige Dienstreisen aus?

Beruflich muss ich keine weiten Reisen unternehmen; für meine Yoga-Ausbildung (Nebenberuf) war ich schwer in Versuchung nach Indien zu fliegen, habe mich dann aber für eine Ausbildung in Zug-Entfernung entschieden.

Wie wirkt sich Ihre Entscheidung privat auf den Urlaub, den Sie machen aus?

Ich bin damit selbst sehr glücklich und zufrieden: Jedoch ist es in der Partnerschaft oft nicht leicht; Mein Mann fliegt relativ oft beruflich in ferne Länder und ist enttäuscht, dass ich nicht mal mitkommen will. Einmal haben wir als ganze Familie die Einladung zu einer Hochzeit in der nahen Verwandtschaft abgesagt, die auf Mallorca stattfinden sollte. Meinem Sohn habe ich mal die Teilnahme an einer Klassenfahrt (Flug nach Barcelona) nicht erlaubt und für ihn eine schöne Alternative gesucht, weil er nicht dabei war.

Wie erreichen Sie jetzt weit entfernte Orte?

Was ich nicht per Zug erreichen kann, brauche ich nicht erreichen: es gibt Dokus über alle Teile der Welt; in meiner direkten Nachbarschaft kann ich viel über afghanische Kultur kennenlernen und wenn ich möchte Farsi lernen.

Was ist das Schwierigste für Sie daran, nicht zu fliegen?

Dass ich meine Kinder nicht besuchen konnte, die Auslandsjahre gemacht hatten, einer in Mexiko und der andere in Ecuador; wir konnten so einen wichtigen Teil ihres Lebens nicht mitbekommen, die Gast-Familien und Orte nicht kennenlernen- das ist mir wirklich schwer gefallen; auch meinen Mann zu enttäuschen ist schwierig; und ein guter Freund lebt in Brasilien und lädt uns immer wieder ein.

Machen Sie manchmal Ausnahmen bzw. auf welchen Flug würden Sie nicht verzichten?

2013 war eine Ausnahme, Besuch eines Sohnes im Auslandsstudium in Spanien

Wie reagiert Ihr Umfeld darauf, dass Sie nicht mehr fliegen möchten?

Oft mit Unverständnis (“EINMAL kannst Du doch eine Ausnahme machen!”)

Welche Tipps haben Sie für andere Menschen, die ebenfalls weniger fliegen möchten?

Es gibt sooo viele schöne Orte, die man ohne Flugzeug erreichen kann. Wenn das Fliegen gar keine Option mehr ist im Kopf, kommt man gar nicht mehr auf solche Ideen wie: “ach, Nepal möchte ich mal kennen lernen…”. Es ist wie beim Auto: wenn man keines hat (wie ich), kommt man erst gar nicht auf die Idee, irgendwelche Aktionen zu machen, die nur mit Auto gehen.

Ist es eine Alternative für Sie, zu fliegen, und den Flug zu kompensieren?

Für notwendige Dienstreisen meines Mannes.

Was kann jede*r Einzelne noch tun, um die klimaschädlichen Auswirkungen des Flugverkehrs zu reduzieren und wo muss nach Ihrer Meinung nach der Staat eingreifen?

Es MUSS mehr staatliche Regeln geben, der /die Einzelne ist zu schwach und erliegt den ganzen Versuchungen:

  • Endlich Besteuerung von Kerosin

  • Deutliche Erhöhung des CO₂-Preises

  • Werbung für Fliegen verbieten? Wie fürs Rauchen?

  • Gute Alternativen für Inlandsurlaube bekannt machen/ Tourismusprogramme für Mecklenburg und Brandenburg etc.

  • Nachhaltiger Tourismus muss cool werden (so wie Bio-Essen)

  • Verbot von Klassenfahrten per Flugzeug

  • Firmen müssen Anreizprogramme erhalten, ihre Dienstreisen per Bahn zu machen

  • Ausbau der Bahn

  • Nach Corona beibehalten: Konferenzen per Video ohne Reisen


Patrick Allgaier
Foto: Weit GbR
Patrick Allgaier, Weltreisender, Filmemacher
Der Weg kann zum Ziel werden, wenn man konsequent über Land und Wasser reist. […] Erholung und Abenteuer können auch ohne Flugzeug erreicht werden. Für terrane Alternativen braucht es Zeit und ein wenig Mut, um Neues auszuprobieren. Jetzt nachhaltig unterwegs zu sein ist die Basis, dass wir in Zukunft überhaupt noch reisen können.
Interview Öko-Institut mit Patrick Allgaier, terran e.V., Juni 2020

Wann haben Sie zuletzt ein Flugzeug betreten?

Im Januar 2013 (Flug Frankfurt – Madrid / beruflich).

Warum fliegen Sie nicht mehr?

Ich bin mit meiner Freundin Gwendolin Weisser zwischen 2013 und 2016 ohne Flugzeug um die Welt gereist. Die dreieinhalb jährige Erdumrundung hat uns gezeigt, wie sehr der Weg zum Ziel werden kann, wenn man konsequent über Land und Wasser reist. Im wahrsten Sinne des Wortes haben wir nichts überflogen, haben die stetige Veränderung von Klima, Kulturen, Essen, Vegetation, Kleidung, Gesichtern bewusst wahrnehmen können. In der ersten großen Etappe reisten wir 10 Monate von Deutschland nach Indien. Als wir dort ankamen hatten wir keinen Kulturschock, weil wir nicht plötzlich in Indien gelandet waren, sondern in den Monaten zuvor Indien stückweise nähergekommen war. Heute kennen wir einen Unterschied zwischen Deutschland und Indien, aber nicht, weil wir beide Länder kennengelernt haben, sondern weil wir wissen was dazwischen liegt.

Wie sind Sie zu dieser Entscheidung gelangt?

Als wir im Frühjahr 2013 zu Hause aufgebrochen sind, starteten wir mit der romantischen Idee, die Welt terran (ohne Flugzeug) umrunden zu wollen. Je weiter wir kamen, desto mehr haben wir gemerkt, wie entschleunigt und bewusst wir dadurch unterwegs sind. Es war während der Weltreise weniger eine klimabewusste Entscheidung. Das kam erst nach der Rückkehr, als uns bewusst wurde wie dringlich die Klimakrise angegangen werden muss und welch großen Einfluss das Fliegen darauf hat.

Wie wirkt sich Ihre Entscheidung auf Ihre Arbeit und ggf. notwendige Dienstreisen aus?

Für ein Filmfestival in Moskau, wo unser Film “WEIT.” 2018 gezeigt wurde, hat man uns zum Regiegespräch eingeladen. Wir haben dem Veranstalter gesagt, wir würden nur persönlich vorbeikommen, wenn wir terran anreisen könnten. Statt wie gewöhnlich einem Flug zu buchen, wurden die Reisekosten für eine Zugfahrt (Freiburg – Moskau - Freiburg) bewilligt. Leider bin ich dann ein paar Tage vor Reisestart mit Lungenentzündung im Bett gelegen und wir konnte die Zugfahrt nicht antreten. Zu Filmfestivals in Taiwan, China und Argentinien wurden wir ebenfalls eingeladen. Diese haben wir abgesagt, weil wir nicht mit dem Flugzeug anreisen wollten und der Überlandweg zu langen gedauert hätte. (Wir hatten das kurz in Erwägung gezogen)

Wie wirkt sich Ihre Entscheidung privat auf den Urlaub, den Sie machen aus? Wie erreichen Sie jetzt weit entfernte Orte?

Für kürzere Reisen bleiben wir in der Umgebung. So zieht es uns oft als Familie mit dem Lastenrad in den Schwarzwald oder in die Vogesen nach Frankreich. Die Zeit entscheidet über den Radius. 2019 sind wir für 3 Monate als Familie nach Marokko gereist. Mit Wohnwagen auf die Fähre (Italien – Marokko) und über Land wieder zurück. Dabei galt wieder einmal, der Weg ist das Ziel, das Unterwegsein unser Abenteuer.

Was ist das Schwierigste für Sie daran, nicht zu fliegen?

Die Vorbereitung der Reise und Recherche ist aufwendiger. Wir würden gerne bald mal wieder nach Georgien reisen. Mit dem Flugzeug ist das sehr einfach und unkompliziert. Mit dem Zug muss man viele Daten und Verbindungen sammeln, speziellen Reisebüros suchen und gegebenenfalls mehr Geld ausgeben. Es wäre schön, wenn es da mehr Informationen und Dienstleistungen geben würde. z.B. terrane Reisebüros.

Machen Sie manchmal Ausnahmen bzw. auf welchen Flug würden sie nicht verzichten?

Unser Sohn ist in Mexiko geboren. Gerne würden wir in den nächsten Jahren als Familie an seinen Geburtsort reisen. Mit drei Kindern ist die flugfreie Anreise nach Mittelamerika eher kompliziert. Segeln würden wir uns mit den kleinen Kindern nicht zutrauen, Containerschiffe sind sehr teuer und nehmen Kinder erst ab 3 Jahren mit. Es bleibt also momentan noch offen, ob wir auch nach Mexiko fliegen würden. Meine Tendenz wäre eher auf die Reise zu verzichten und alternativ terran durch Europa zu reisen.

Wie reagiert ihr Umfeld darauf, dass Sie nicht mehr fliegen möchten?

Meistens sehr positiv und interessiert. Einige verfallen in Selbstreflektion und äußern ebenfalls in Zukunft weniger fliegen zu wollen oder schon lange nicht mehr geflogen zu sein. Manchmal erlebe ich auch eine Verteidigung. “Ich muss einfach fliegen, weil es nicht anders geht”. Aber vor allem bemerke ich in Gesprächen zum Flugverhalten, wie sehr die Klimaschädlichkeit von Flugzeugen nach wie vor unterschätzt wird.

Welche Tipps haben Sie für andere Menschen, die ebenfalls weniger fliegen möchten?

Auf www.terran.eco vorbeizuschauen

Sich nach dem Bedürfnis hinter dem Reisewunsch zu fragen. Erholung und Abenteuer können auch ohne Flugzeug erreicht werden. Für die terrane Alternativen braucht es Zeit und ein wenig Mut um Neues auszuprobieren. Jetzt nachhaltig unterwegs zu sein ist die Basis, dass wir in Zukunft überhaupt noch reisen können.

Ist es eine Alternative für Sie, zu Fliegen und den Flug zu kompensieren?

Kompensation darf nicht von den eigentlichen Fragen ablenken: Braucht es überhaupt einen Flug für mein Ziel? Gibt es Fortbewegungsalternativen? Oder gibt es sogar alternative Ziele oder Wege, mein Bedürfnis zu erfüllen?

Kompensationen sind sehr umstritten. Analysen haben gezeigt, dass viele Kompensationsangebote ihren Versprechen nicht nachkommen können. Viele Forscher*innen sind da ähnlicher Meinung: Kompensation ist nichts, was den gravierenden Klimawandel langfristig aufhalten kann. Die Hebelwirkung einer persönlichen (bestenfalls gesellschaftlichen) Verhaltensänderung ist stets kraftvoller als Kompensationsprojekte am anderen Ende der Welt.

Was ist die schönste Erfahrung, die Sie ohne Flugverzicht nicht erlebt hätten?

Wir haben dreieinhalb Jahre für unsere terrane Erdumrundung gebraucht und dabei gemerkt wie groß und vielfältig die Welt ist. Mit einen “Around the World” Flugticket hätte sich die Erde wahrscheinlich wesentlich kleiner und weniger zusammenhängend angefühlt. Distanz ist heutzutage eine Frage der Entscheidung. Zwischen Deutschland und Indien können 10 Stunden Flug liegen, oder 10 Monate und Welten, die mich Indien besser verstehen lassen.

Was kann jede*r Einzelne noch tun, um die klimaschädlichen Auswirkungen des Flugverkehrs zu reduzieren und wo muss Ihrer Meinung nach der Staat eingreifen?

Klimaschutz braucht beides. Das Bewusstsein der einzelnen Menschen und die Politik. Mit unserer Initiative “terran” versuchen wir ein neues Wort zu etablieren, dass Aufklärung schafft, Diskussion in der Gesellschaft anregt und Alternativen zum Flugzeug aufzeigt. Das bringt Bewusstsein und Verhaltensänderungen, die das Fundament sind, um die Politik eine verantwortungsvolle Verkehrswende einleiten zu lassen.


Weitere Geschichten von Menschen, die am Boden geblieben sind

Ohne Flugzeug um die Welt: Gwen und Patrick aus Freiburg waren drei Jahre lang auf Weltreise ohne vom Boden abzuheben.

Eins2frei: Leo und Sebastian sind 1,5 Jahre lang gereist und haben dabei den Pazifik auf einem Containerschiff überquert.

Blown Away: Ben und Hannes sind Musiker und per Bus und Segelschiff um die Welt gereist.

Berlin bis Canberra: Unser ehemaliger Kollege Graham Anderson berichtet von seiner über weite Strecken terranen Reise von Deutschland nach Australien.

Unsere Webseite setzt Cookies 🍪 für die statistische Auswertung von Webseitenbesuchen ein. Informationen über die eingesetzten Cookies und wie Sie diese unterbinden oder löschen können, finden Sie in unseren Datenschutzhinweisen.